KARL-HENNING SEEMANN #kunstmomente

Aus dem Wechselspiel zwischen Karl-Henning Seemanns bildhauerischem Arbeiten und dem Zeichnen sind in sieben Jahrzehnten mehr als 1000 Zeichnungen, Skizzen und Entwürfe hervorgegangen. In diesen Blättern befasst der Künstler sich mit der menschlichen Figur, Bewegung, Dynamik und Zeit, mit Figurenfontainen, Volumen und Transformation.

Im 2022 erschienenen Werkkatalog mit fast 700 Abbildungen wird dieses umfangreiche zeichnerische Oeuvre nun erstmals umfassend vorgestellt. Dabei wird augenfällig, wie der Bildhauer Seemann beim Zeichnen immer schon den Raum und das Volumen mit denkt und seinen Figuren so eine eindrückliche, charakteristische Präsenz verleiht.

„Mit ihrem hohen Maß an Spontaneität und Ausdruckskraft erfasst seine zeichnerische Linie nicht nur Äußeres. Sie erkundet die Spannungen und Energien eines Körpers und damit das Innere, das Kreatürliche menschlicher Existenz.“ (Marion Vogt)

Pegasus, Zeichnung © Karl-Henning Seemann

Pegasus, Zeichnung © Karl-Henning Seemann

Karl-Henning Seemanns Figurenauffassung ist geprägt von der Erfahrung körperlichen Volumens als Ursprung aller Form, an die sich jegliches Bewegungserlebnis im Raum knüpft. Das Tragen und Lasten der Formen und die daraus sich ergebende Dynamik sind grundlegende Begriffe für ihn, ebenso wie der an die Proportionen gebundene Rhythmus einer Figur.

Schon früh richtete er sein Augenmerk auf das zentrale Problem der Übersetzung von Bewegung in die an sich von Statik geprägte plastische Form, dabei stets nach dem „fruchtbaren Augenblick“ (Lessing) einer in Bewegung begriffenen Figur suchend.
„Die Steigerung des bildhauerischen Ausdrucks, des Volumens und der Bewegung zielen weder auf vordergründige Belustigung noch auf pathetische Überhöhung ab. Die Übersetzung von Bewegung in plastische Form ist von Anfang an mein zentrales Problem.“ (Karl-Henning Seemann)

Aus dem immer wieder aufs Neue variierten, wechselseitigen Spannungsverhältnis von Statik und Dynamik entwickelte Seemann eine eigene Formensprache, jenseits herkömmlicher Gestaltungslösungen.
Die im Umschreiten einer Figur sich erschließenden Abfolgen verschiedener Ansichten und Simultanformen belegen Seemanns Interesse an raumgreifenden Bewegungsabläufen, eingebunden in einen verdichteten zeitlichen Kontext.

Kaukasischer Kreidekreis, Modell © Karl-Henning Seemann

Kaukasischer Kreidekreis, Entwurfmodell 1965-67 © Karl-Henning Seemann

Karl-Henning Seemann:

“Was für das Schreiben gilt, kann für das Zeichnen nicht falsch sein, und in der Bildhauerzeichnung schließt sich der Kreis zur Plastik, die ja ihr Ziel und Kriterium ist. In der Plastik wird aber die Verbindung zwischen der Idee und der Form durch die Hand, die sie schafft, umso direkter, handschriftlicher, je handlicher sie ist.

Die Handspanne setzt hierfür einen Maßstab. Es ist bezogen auf die Lebensgröße etwa der Maßstab 1:10, der nicht zufällig gängigste Maßstab für den Bozzetto, auch das Maß für ein plastisches Gebilde, das ich beim Modellieren noch ohne statische Hilfskonstruktion in der Hand halten und mit der Hand umspannen kann.

Es ist das Maß, das beim Formen in der dritten Dimension des Raumes durch den Bewegungsradius der Finger ähnlich klar bestimmt ist wie die Größe der Handschrift, die Spur der eindimensionalen Bewegung der Hand auf der zweidimensionalen Fläche.”

Zitiert nach: Karl-Henning Seemann, unveröffentlichtes Redemanuskript, Sommer 2000

VITA KARL-HENNING SEEMANN (1934 - 2023)

  • 1934 in Wismar geboren, absolvierte Seemann 1953-55 ein Bildhauerstudium an der Hochschule für Bildende und Angewandte Künste Berlin – Weißensee bei Heinrich Drake, Heinz Worner, Theo Balden und Arno Mohr.
  • 1955 setzte er sein Studium im Westen an der Hochschule für Bildende Künste Berlin-Charlottenburg bei Alexander Gonda, Bernhard Heiliger, Hans Jänisch und Rudolf Bednarcik fort.
  • Mit dem Wunsch, sein Studium mit einem Examen als Kunsterzieher abzuschließen, wechselte Seemann 1959 an die Staatliche Akademie der Bildenden Künste nach Stuttgart.
  • Nach kurzem Schuldienst in Mannheim folgte er dem Angebot Jürgen Webers und übernahm 1961 – 1965 dessen Assistenz am Lehrstuhl für Modellieren und Aktzeichnen der TH Braunschweig.
  • Es folgten Berufungen an die Fachhochschule Aachen (1972) und 1974 an die Staatliche Akademie der Bildenden Künste Stuttgart, an der er bis 1999 eine Professur innehatte.

Professor Seemanns Grundlehrkurs an der Stuttgarter Akademie war geprägt von der Erfahrung körperlichen Volumens als Ursprung aller Form, an die sich jegliches Bewegungserlebnis im Raum knüpft. Das Tragen und Lasten der Formen und die daraus sich ergebende Dynamik waren grundlegende Begriffe in Seemanns Lehre, ebenso wie der an die Proportionen gebundene Rhythmus einer Figuration. Dass diese Lehrsätze Gehör fanden und darüber hinaus neue Lösungen initiierten, belegen die Werke der zahlreichen ehemaligen Akademie-Studenten.

Nicht zuletzt durch zahlreiche Arbeiten im öffentlichen Raum konnte sich Karl-Henning Seemann einen Namen machen. Solche auf die jeweiligen örtlichen und räumlichen Gegebenheiten Bezug nehmenden Auftragsarbeiten gingen in den letzten Jahren häufig aus der erfolgreichen Teilnahme an Wettbewerben hervor.

Bozzetto zur Figurentreppe am Landratsamt Schwäbisch Hall, 1981 © Karl-Henning Seemann, Foto: Eckhard Slawik

Bozzetto zur Figurentreppe am Landratsamt Schwäbisch Hall, 1981 © Karl-Henning Seemann, Foto: Eckhard Slawik

Ausstellung: Schloss Waldenburg – Skulpturen
Vernissage am 29. Juni 2014 im Atelier Stockhausen – Isensee
in Kooperation mit der Galerie Andreas Henn

Exponate von Karl-Henning Seemann, Felicitas Franck, Jakob Wilhelm Fehrle, Ulrich Henn, Gerold Jäggle, Alfred Lörcher, Gerhard Marcks, Stefan von Reiswitz, Walter Rempp, Gustav Seitz und Toni Stadler

Künstlergespräche mit Felicitas Franck am 6. Juli, mit Karl-Henning Seemann am 13. Juli und mit Ada Isensee am 20. Juli 2014.

Einladung Schloss Waldenburg (pdf)